Berliner Erklärung

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Gesellschaft im Wandel – Aufgaben und Ziele der Europaschulen in Deutschland

Seit der letzten Erklärung des Bundes-Netzwerk Europaschule e.V. im Jahre 2008 hat sich die Gesellschaft in Europa gravierend verändert. Europäische Werte stehen unter Druck.

Europaschulen richten in besonderer Weise die Bildungs- und Erziehungsprozesse an der Eu- ropabildung1 aus. Sie verankern dies in den Schulprogrammen und Curricula und werden in der Regel im Rahmen von Landesprogrammen zertifiziert. Die Europaschulen ermöglichen Lern- und Arbeitsprozesse, die Europa, seine Werte, seine kulturelle und sprachliche Vielfalt, seine Geschichte, seine Ordnungen und Entwicklungen im Kontext globaler Prozesse ins Be- wusstsein rücken und erfahrbar machen.

Das Bundes-Netzwerk Europaschule e.V. sieht aktuell Herausforderungen, vor denen die Eu- ropaschulen bei ihren Aufgaben stehen, insbesondere in den folgenden Bereichen:

  • Demokratische Prozesse, Menschenrechte, grundlegende Werte sowie die europäische In- tegration sind in Frage gestellt. Unter diesen Bedingungen müssen Demokratielernen und politische Bildung intensiviert werden.

  • Digitale Technik und digitale Kommunikationsformen entwickeln sich rasch. Sie verändern Alltag, Arbeitswelt und politische Meinungsbildung, so dass besondere Anforderungen an die Herausbildung neuer Medienkompetenzen entstehen.

  • Globale Herausforderungen in Zukunftsfragen (Umwelt, wirtschaftliche Entwicklungen, in- ternationale Konflikte) verlangen nach grundlegenden, weitsichtigen, kreativen Lösungen, die umfassende Bildung und wissenschaftliche Kompetenzen voraussetzen.

     

Europaschulen begegnen diesen Herausforderungen insbesondere durch die Ausprägung und Weiterentwicklung der folgenden Bestandteile des Schulprofils:

  1. Europäische Dimension

  2. Soziales Lernen – Demokratielernen – politische Bildung

  3. Verstehen und Verständigung zwischen den Kulturen

  4. Leben und Arbeiten in Europa

  5. Professionalisierung im europäischen Kontext - Schulentwicklung und modernes Schul- und Personalmanagement

 

 

1. Europäische Dimension


An Europaschulen ist die europäische Dimension in allen schulischen Lehr- und Lernprozessen fächerverbindend und fächerübergreifend erkennbar.

  • Europa und die Verbindung der eigenen Region mit Europa werden in allen Fächern und Projekten erfahrbar. Dies geschieht auch über Schulpartnerschaften, außerschulische Lernorte und die Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen.

  • Die europäischen Werte werden in der Schulgemeinschaft vermittelt und gelebt.

  • Die Vermittlung von Kenntnissen über die europäische Geschichte und die europäischen Institutionen ist Aufgabe aller Fächer.

  • Kenntnisse über wirtschaftliche, politische und organisatorische Verflechtungen auf europäischer und globaler Ebene sind Bestandteil der Curricula.

 

 

2. Soziales Lernen – Demokratielernen – politische Bildung

Europaschulen gestalten einen von europäischen Werten und demokratischer Kultur geprägten Schulalltag.

  • Die Schulkultur ist geprägt durch Toleranz, gegenseitige Wertschätzung und Diversität.

  • Feedback, Mediation und Streitschlichtung sind Teil dieser Schulkultur.

  • Gelebte Demokratie ist ein grundlegendes Qualitätsmerkmal. Demokratische Verfahren werden von Beginn an eingeübt (z. B. Klassenrat, Beteiligungsprozesse für alle Schulmitglieder, Transparenz der Information und Meinungsbildung).

  • Politische Bildung ist Aufgabe für alle Fächer bzw. Prozesse und Projekte.

  • Politische Urteils- und Handlungskompetenz2 werden anhand aktueller Sachthemen (z. B. Ökonomie, Ökologie, Digitalisierung) entwickelt. Dies geht einher mit kritischer Medienkompetenz, sodass sich die Lernenden der Gefahren durch Fake News, Hate Speech und Social Bots bewusst werden.

  • Methodische Kompetenzen werden eingeübt, damit Schülerinnen und Schüler die Au- torschaft über das eigene Leben verantwortungsvoll übernehmen können.

  • Kenntnisse über die Bedeutung der europäischen Institutionen und Gesetzgebung sind Bestandteil des Curriculums und gehen einher mit Urteilskompetenz in Bezug auf eu- ropäische Werte und demokratisches Handeln.

 

 

3. Verstehen und Verständigung zwischen den Kulturen


Europaschulen würdigen kulturelle Unterschiede und fördern Verstehens- und Verständi- gungsprozesse in besonderer Weise.

  • Entwicklung interkultureller Kompetenz, der Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur Ak- zeptanz anderer Wertesysteme und zur Lösung von Konflikten werden im Unterricht, in Projekttagen und -wochen sowie Trainings gefördert.

  • Inklusion wird in einem umfassenden Sinn als Umgang mit Diversität von Lebensfor- men und -entwürfen (kulturell, sprachlich, sozial, religiös, sexuell) umgesetzt.

  • Besondere Spracherwerbs- und -förderkonzepte ermöglichen Mehrsprachigkeit auf hohem Niveau. Sie erlauben die Entwicklung und Anwendung der Familiensprachen der Lernenden und bieten besondere Lernformen wie das Sach- und Fachlernen in mehreren Sprachen an, z. B. durch bilingualen Unterricht bzw. CLIL3.

  • Internationale Austauschprojekte, Schulpartnerschaften und Beziehungen mit weite- ren Institutionen in anderen Ländern werden gesucht und gepflegt. Dazu gehören Langzeitaufenthalte im Ausland.

  • Die Programme der Europäischen Kommission, insbesondere Erasmus+ und eTwin- ning, werden genutzt.

     

 

4. Leben und Arbeiten in Europa


Europaschulen beziehen sich in ihrer Arbeit auf die Kompetenzen für lebenslanges Lernen, wie sie durch die Europäische Union formuliert wurden4.

  • Die Entwicklung der Persönlichkeit im Kontext der europäischen Bildungsziele spielt im Schulprogramm der Europaschulen eine zentrale Rolle.

  • Europaschulen haben den Anspruch, die Begabungen und Talente aller Schülerinnen und Schüler sichtbar zu machen und ihre Eigeninitiative und Eigenverantwortung zu fördern. Sie geben den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Perspektiven für ihre Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten in Europa zu entwickeln und leisten damit einen besonderen Beitrag zur Studien- und Berufsorientierung im europäischen und interna- tionalen Kontext.

  • In diesem Zusammenhang ermöglichen Europaschulen Erfahrungen im Rahmen von Praktika bzw. „Work Experience“ im Ausland, z. B. koordiniert über Schulpartnerschaften.

     

 

5. Professionalisierung im europäischen Kontext - Schulentwicklung und modernes Schul- und Personalmanagement

 

  • Europaschulen berücksichtigen bei der Weiterentwicklung von Schule, Unterricht und schulischen Projekten neueste Erkenntnisse und Entwicklungen. Sie setzen zeitgemäße Lehr- und Lernprozesse, Lernarrangements und -methoden um. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit digitalen Medien und die Ausprägung einer zukunftsorientierten und an internationalen Standards orientierten Medienkompetenz.

  • Europaschulen nutzen ihre internationalen Schulpartnerschaften sowie die europäi- schen Fortbildungsmöglichkeiten und Unterstützungssysteme. Hierzu gehört z. B. das Programm Erasmus+ mit der Möglichkeit für europäische Schulen, voneinander, mit- einander oder in Kooperation mit europäischen (oder nationalen) Bildungsinstitutionen zu lernen.

  • Europaschulen berücksichtigen im Sinne der Mehrsprachigkeit und der interkulturellen Verständigung den Einsatz von Lehrkräften mit unterschiedlichen Familiensprachen.

Das Schulprogramm der Europaschulen ist integraler Bestandteil der Schulentwicklung. Es betrifft die gesamte Schule sowie alle schulischen Prozesse. Europaschulen vernetzen sich, um voneinander zu lernen und sich weiter zu entwickeln.

Das Bundes-Netzwerk Europaschule e.V. bietet hierfür eine geeignete Plattform. Es bietet Gelegenheit für einen Austausch von Ideen und bewährten Konzepten und berät Schulen und Arbeitsgruppen in den Bundesländern.

Das Bundes-Netzwerk Europaschule e.V. ist Gesprächspartner für die Bildungsverwaltung auf Länder- und Bundesebene sowie für die politisch Verantwortlichen im Schulbereich.

Das Bundes-Netzwerk Europaschule e.V. fordert die Stärkung der Europabildung in allen Bun- desländern. Hierzu gehören insbesondere folgende Maßnahmen:

 

-  Europabildung muss in der Ausbildung der Lehrkräfte in allen Ausbildungsphasen so- wie der Weiterbildung eine bedeutende Rolle spielen.

-  Europabildung bedarf der Ressourcen auf Ebene der Bundesländer über die bestehen- den Unterstützungsmöglichkeiten durch europäische Förderung hinaus.

-  Europaschulen benötigen in allen Bundesländern eine verlässliche finanzielle und per- sonelle Unterstützung.

 

 

Berlin, den 14.09.2019


1 „Europabildung“ ist ein Arbeitsbegriff, vgl. Erklärung der KMK „Europabildung in der Schule“:

„Die Schule hat die Aufgabe, die Annäherung der europäischen Völker und Staaten und die Neuordnung ihrer Beziehungen bewusst zu machen. Sie soll dazu beitragen, dass in der heran- wachsenden Generation ein Bewusstsein europäischer Zusammengehörigkeit entsteht und Verständnis dafür entwickelt wird, dass in vielen Bereichen unseres Lebens europäische Bezüge wirksam sind und europäische Entscheidungen verlangt werden. Die Schule hat zudem die Auf- gabe, Respekt vor und Interesse an der Vielfalt der Sprachen und Kulturen zu wecken und aus- zubauen.“ https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschlu- esse/1978/1978_06_08_Europabildung.pdf

 

2 https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschlu- esse/1978/1978_06_08_Europabildung.pdf

 

3 CLIL ist die Abkürzung für Content and Language Integrated Learning.

 

4 https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/297a33c8-a1f3-11e9- 9d01-01aa75ed71a1/language-en